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in Wolfenbüttel

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Lotte Schloss, verheiratete Strauss

geboren: 02.08.1913 in Wolfenbüttel

Wohnadresse in Wolfenbüttel: Lessingstraße 10 (früher Nr. 4)

Lotte Strauss hat ihr Leben und das ihrer Familie in Wolfenbüttel in einem englischsprachigen und deutschsprachigen Buch der Zukunft überliefert. Sie heiratete in zweiter Ehe den Historiker und späteren (1982- 1990) Gründungsdirektor des Berliner „Zentrums für Antisemitismusforschung“, Herbert Strauss. Ihnen gelang die Flucht über die Schweiz in die USA. Über ihre Wolfenbütteler Zeit sollen hier zwei Zitate aus ihrem Buch ihre Haltung zu Wolfenbüttel dokumentieren:

Meine Schule, die nicht weit von zu Hause lag, war keine normale Schule, jedenfalls nicht im gewöhnlichen Sinne: Sie war im Schloß, beziehungsweise in einem Flü­gel des Schlosses untergebracht, demselben, das die Her­zöge von Braunschweig-Wolfenbüttel 1753 verlassen hat­ten. Der offizielle Name war Anna-Vorwerk-Oberlyzeum, wir nannten sie »die Schloßschule«. „. Die Schule, in die ich kam, war ein Lyzeum oder Gym­nasium mit neun Klassen bis zum Abitur. Vorher mußte ich vier Jahre eine der privaten Grundschulen besuchen; diese wurden aufgelöst, als die Volksschule - eine öffent­liche Grundschule - eingeführt wurde. (…)

Der Lehrplan entsprach dem eines Realgymnasiums, mit besonderer Betonung der Fremdsprachen. In den unte­ren Klassen wurden wir in Deutsch unterrichtet, vor allem in der deutschen Grammatik; das Nibelungenlied brachte man uns als Beginn der deutschen Geschichte bei. Es war ein bewußter Versuch, unsere deutsche Identität zu stär­ken, als wir zehn oder elf Jahre alt waren: deutsche Hel­denverehrung in der Weimarer Republik! Wir lernten auch griechische und römische Geschichte und lasen im Unterricht die Odyssee und die Ilias, was mir eine gute Grundlage in der Alten Geschichte verschaffte. (…) Eine andere Erinnerung aus meiner Schulzeit ist mit einer Religionsstunde verbunden. Wolfenbüttel ist eine pro­testantische Stadt, und die Schüler mußten in evangeli­scher Religion unterrichtet werden. Christliche Ethik und die frühe Entwicklung der christlichen Religion zählten zu den Inhalten dieser Stunden, die der evangelische Pastor Clemens hielt. Ich war das einzige jüdische Mädchen in der Klasse und wurde von der Teilnahme freigestellt. Mei­stens fand der Unterricht am frühen Morgen statt. Ich konnte länger schlafen. Aber der Stundenplan änderte sich: Die Religionsstunde wurde in die Mitte der Unterrichtszeit verschoben. Es hatte keinen Sinn, für so kurze Zeit nach Hause zu gehen, deshalb fragte ich Pastor Clemens, ob ich mich hinten in den Klassenraum setzen und meine Haus­aufgaben machen dürfe. Er erlaubte es mir und vergaß meine Gegenwart.

Eine Zeitlang funktionierte die Vereinbarung gut, aber plötzlich, während einer Unterrichtsstunde, bemerkte ich daß sich die Gesichter meiner Mitschülerinnen mir wie auf Befehl zugewandt hatten und viele von ihnen zu kichern begannen. Dann hörte ich, wie Pastor Clemens über die Juden sprach, die in römischer Zeit die Christen an ihre römischen Verfolger verraten hätten, und daß viele Christen bei diesen unmenschlichen Greueltaten der Juden ihr Leben verloren hätten.

Im Mai 1983 nahm sie in Begleitung ihres Mannes an einem Kongress in Wolfenbüttel teil. Die Teilnehmer waren zu einem Empfang geladen, bei dem der stellvertretende Bürgermeister Dr. Kurt-Günter Dorow eine Rede hielt. Dazu Lotte Strauss: Der Empfang, den der Bürgermeister den Teilnehmern der Konferenz gab, fand in den Räumen meiner früheren Schule, der Schloßschule, statt, die in ihrem herzoglichen Glanz restauriert worden war. Es schien mir widersinnig, als frühere Bürgerin von Wolfenbüttel willkommen geheißen zu werden, während mich qualvolle Erinnerungen erfüllten. So sehr ich mir der guten Absicht des öffentlichen Beifalls bewußt war, vermißte ich jegliche Erwähnung der schrecklichen Ereignisse, die meine Familie und meine Gemeinschaft zerstört hatten. Die Geschichte von Wolfenbüttel, die von der Stadt veröffentlicht und mir bei diesem Empfang überreicht wurde, erwähnte weder die jüdische Gemeinde noch ihren Beitrag zum Leben der Stadt und ihr tragisches Ende.

geflüchtet: 1943 in die Schweiz

Familie:
Louis Schloss
Johanna Schloss, geborene Bildesheim
Helmut Schloss

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