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in Wolfenbüttel

Details


Siegfried Kirchheimer

geboren: 16.12.1891 in Hemelingen

Wohnadresse in Wolfenbüttel: Schützenstraße 20

In der Schützenstraße 20 lebte die Familie Kirchheimer: Der Arzt, seine Frau Martha und die Kinder Lore, Alice, Grete und Hans. Siegfried Kirchheimer war ein bekannter und beliebter Doktor. Bekannt war er - auch 2015 noch - als der „Arzt der Auguststadt“. Besonders Familien aus der Arbeiterschaft schätzten ihn und seine soziale Fürsorge. Er behandelte Menschen unabhängig von Herkunft und Gesinnung, ob Bürger oder Arbeiter.

Kirchheimer wurde 1891 in der Nähe von Bremen geboren. Er studierte Medizin und nahm wie viele andere Juden am Ersten Weltkrieg teil. Er erhielt mehrere Auszeichnungen. 1919 eröffnete er in der Langen Herzogstraße 14 seine erste Praxis. Wegen seiner Sympathien für eher links orientierte Einwohner geriet er schon früh ins Visier der Nationalsozialisten. Bereits 1932 wurde ihm verboten, für das städtische Fürsorgeamt zu arbeiten. Besonders ihn trafen die antijüdischen Maßnahmen ab 1933 mit aller Härte. Im März 1933 drangen SA-Hilfspolizisten in sein Haus ein und durchsuchten es. Erinnerungsstücke aus seiner Soldatenzeit im Ersten Weltkrieg wurden beschlagnahmt. Die Nationalsozialisten sahen in ihm nicht nur den Juden, sondern auch den politisch Andersdenkenden. Auch noch, nachdem er nicht mehr praktizieren konnte, glaubte er als kaisertreuer Patriot an ein baldiges Ende der nationalsozialistischen Diktatur. In Amerika lebende Verwandte forderten ihn auf, in die USA zu kommen Schließlich plant er, mit seiner Tochter Lore in die USA zu flüchten. Er verkaufte sein Haus samt Innenausstattung. Am 6. Juli 1938 verließ die Familie Wolfenbüttel, um in Bad Driburg bei den Schwiegereltern auf die Ausreisepapiere zu warten. Im September kehrte das Ehepaar noch einmal nach Wolfenbüttel zurück, um für die Kinder Erinnerungsfotos der Stadt zu machen und sich von Bekannten zu verabschieden. Dabei wurde er vom ehemaligen Schriftleiter der seit Januar 1938 von den Nationalsozialisten geschlossenen Wolfenbütteler Zeitung , Kurt Meyer-Rotermund, beobachtet. Der denunzierte ihn bei der Polizei. Kirchheimer wurde festgenommen und zur Gestapo nach Braunschweig gebracht. Erst am späten Abend kam er wieder frei: War das eine Aufregung! Wir waren dann am nächsten Tag mehr oder weniger fluchtartig aus Wolfenbüttel heimlich von der Neuen Straße aus per Elektrische nach Braunschweig gefahren. Auf der Okerbrücke vor dem alten Bahnhof Braunschweig wurde ich von der Bahnpolizei verhaftet, bei der ich alles von der Gestapo richtig gestellt hatte und man sich bei ihr telefonisch erkundigte, und erst dann ließ man uns laufen ... In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der Pogromnacht, holte man ihn in Bad Driburg um drei Uhr nachts im Hause seiner Schwiegereltern aus dem Bett von meiner weinenden Martha weg, die schon vorher die halbe Nacht geweint hatte, weil ich am anderen Morgen mein Visum für Lore und mich bekommen hatte und nach Amerika fahren wollte oder besser mußte. Und dann wurde ich ins Gefängnis gebracht unter Polizei- und Schäferhundbegleitung. Das „Gefängnis” war nicht einmal eins, ein feuchter Keller mit verrosteten Eisenbetten. Am 11. November ließ man mich als einzigen dann frei von wegen des Visums, aber drohte mir, innerhalb von zwei Stunden den Ort zu verlassen zu haben.

Vater und Tochter Lore fuhren nach Hamburg. Als wir wegfuhren, glaubte ich, wir würden einander nie wiedersehen. Es war ganz schrecklich, sie alle zurückzulassen. Den Arztberuf konnte Kirchheimer in New York nicht ausüben, weil sein Examen nicht anerkannt wurde. So verdiente er den Lebensunterhalt bis zu seinem Ruhestand als Altenpfleger im größten Altenheim der Stadt. Zu Wolfenbüttel hielt er bis kurz vor seinem Tod intensive Kontakte. Er schrieb viele Briefe an ehemalige Bekannte und einen jedes Jahr zu Weihnachten an die Wolfenbütteler Zeitung, die ihn auch veröffentlichte. Kirchheimer blieb Wolfenbütteler Bürger, nur dass er in New York lebte. Hier starb er am 21. Januar 1991.

geflüchtet: 1938 in die USA

Überlebt

Familie:
Lore Eppy, geborene Kirchheimer
Martha Kirchheimer, geborene Müller
Alice Kirchheimer
Hans Kirchheimer
Grete Leven, geborene Kirchheimer

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