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in Wolfenbüttel

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Gertrud Rülf, geborene Reis

geboren: 19.02.1895 in Braunschweig

Wohnadresse in Wolfenbüttel: Bahnhofstraße 1

Die biografischen Texte zur Familie Rülf - Rudolf, Gertrud, Alfred und Renate - haben Schülerinnen und Schüler des Wolfenbütteler Gymnasiums im Schloss mit ihrer Lehrerin Ann-Kathrin Behm erarbeitet und am 19. November 2015 anlässlich der Stolperstein-Verlegung in Anwesenheit von 18 Angehörigen der Familie Rülf aus Israel im Ratsaal des Wolfenbütteler Rathauses vorgetragen.

Gertrud Rülf
Wir haben uns mit Gertrud Rülf, der Ehefrau von Rudolf Rülf und Mutter von Alfred und Rina beschäftigt. Da es nicht viele Informationen über sie gibt, haben wir uns dazu entschlossen, einen fiktiven inneren Monolog zu schreiben.
Was wir über sie wissen ist, dass sie am 19.02.1895 geboren wurde und am 28.03.1969 in Naharia, Jerusalem gestorben ist. Sie galt als sehr beliebt und hatte einen großen Freundeskreis, sowohl jüdisch, als auch christlich. Außerdem war sie im Wolfenbütteler Kegelverein aktiv und las viel, wie ihre Tochter später berichtete.
Wir stellen uns vor, was Gertrud Rülf zum Zeitpunkt ihrer Abreise nach Jerusalem gedacht und gefühlt haben könnte:
Nun stehe ich hier. Ich blicke in die Gesichter meiner Kinder; in ihnen sehe ich die gleiche Angst, die auch ich verspüre. Sie hier zurückzulassen, bricht mir das Herz, aber ein normales Leben ist hier für uns nicht mehr möglich. Die alltäglichen Ängste und Sorgen quälen uns alle. Wir müssen weg, weg von unserem geliebten Zuhause, weg von unseren Freunden und unserer Arbeit, in eine unsichere Zukunft, mit unbekannter Sprache und fremden Menschen. Werden wir je wieder ein normales Leben führen können?
Ich habe bei Joachim Esberg ein Gedicht gelesen, an das ich mich in diesem Moment erinnere:

Warum muss ich bettelnd flehen
Um etwas, das mein Eigentum?
Warum denn, sagt mir, warum
Muss ich vor fremden Türen stehen?

Tat etwa ich, wie man nicht tut?
Bin ich nicht, was ihr alle seid:
Ein Mensch voll seiner Menschlichkeit?
Ach, ich vergaß – bin ja ein Jud'!

Ist es nicht so? Sind wir nicht alle nur Menschen? Warum muss ich gehen, und andere dürfen bleiben? Alles wurde mir genommen. Was habe ich verbrochen, was habe ich nur getan, dass diese Menschen mir mein Leben entreißen? Ich bin Jüdin, genau wie mein Mann und meine Kinder, aber das macht uns doch nicht zu schlechten Menschen. Meine Zukunft und die meiner Familie ist ungewiss. Ich bete, dass ich meine Kinder bald wiedersehen werde und sie es hier gut haben werden, ohne mich. Bald werde ich sie wieder in die Arme schließen. Ich habe Angst, und bin doch voller Hoffnung, Hoffnung, dass es besser wird. Dass ich diese Menschen, die mich zwingen, mein altes Leben zurückzulassen, in meinem neuen nie wieder sehen muss. Dass meine Familie und ich endlich wieder richtig leben können, ohne Angst und Sorgen. Ich nehme meine Kinder in den Arm. Ich halte sie fest, möchte sie nicht loslassen. Mein Mann legt seine Hand auf meine Schulter. "Wir müssen gehen", sagt er. Tränen laufen über mein Gesicht. Ich blicke mich um, verabschiede mich von all dem, was ich hatte. Ich lasse meine Heimat hinter mir, doch klammere mich an die Hoffnung auf ein neues Leben.

geflüchtet: 1934 nach Palästina

Gestorben am 18. Mai 1976 in Naharia, Israel

Familie:
Rudolf Rülf
Renate Rülf, verheiratete Grünberg
Alfred Rülf

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